Als Hubert Weinzierl, der heutige Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), 1969 erstmals an die Spitze eines Umweltverbands gewählt wurde, fristete der Naturschutz in Deutschland noch ein Schattendasein.
Das Wirtschaftswunder überstrahlte alles – auch die Tatsache, dass man längst begonnen hatte, die eigenen Lebensgrundlagen abzugraben. Weinzierl – und mit ihm einer wachsenden Zahl von Mitstreitern/innen – gelang es, die Kehrseite der Konsumwelt aufzuzeigen und ökologisch gangbare Alternativen zu entwickeln. Anlässlich seines gestrigen 70. Geburtstags (Sonntag) zieht Hubert Weinzierl eine Bilanz über ein Leben im Zeichen des Natur- und Umweltschutzes.
Kurzportrait
Hubert Weinzierl, geboren am 3.12.1935 in Ingolstadt, engagiert sich seit fünf Jahrzehnten in der Ökobewegung und gilt als die Integrationsfigur „von klassischem Naturschutz und moderner Umweltpolitik“ (J. Trittin) in Deutschland. Von 1969 bis 2002 ist er Vorsitzender des Bundes Naturschutz in Bayern e.V. (BN). Als Sonderbeauftragter des Deutschen Naturschutzringes (DNR) organisiert er 1970 das Europäische Naturschutzjahr. Von 1983 bis 1998 steht er an der Spitze des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND).
Weinzierl nimmt als Mitglied der deutschen Delegation am „Erdgipfel von Rio“ 1992 und zehn Jahre später am Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg teil. Seit Dezember 2000 ist er Präsident des DNR, seit 2001 Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung und seit März 2005 Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Heute lebt der Land- und Forstwirt mit seiner Frau, der katholischen Theologin Beate Seitz-Weinzierl, im Bayerischen Wald.
Interview
Frage: Erstmals in Deutschland wurde gerade eine vormalige Umweltministerin zur Kanzlerin gewählt. Man müsste meinen, dass damit ein „Öko-Traum“ in Erfüllung geht.
Weinzierl: Ich hoffe schon, dass Angela Merkel sich noch an den Naturschutz erinnert. Aber ich habe Angst vor ihrer Liebe zur Gentechnik und zu Atomkraftwerken.
Frage: Sie selbst haben nie den „Bettelorden“ des ehrenamtlichen Natur- und Umweltschutzes verlassen. Hätten Sie in einem Parlament oder einer Regierung nicht viel mehr erreicht?
Weinzierl: Ohne Bürgerengagement funktioniert kein Staatswesen. Die Parteien dürfen kein Monopol für Zukunftspolitik bekommen.
Frage: Wäre es nach den Warnungen der Natur- und Umweltschützer vor 30 Jahren gegangen, müssten heute die Wälder tot, das Wasser verseucht und der Himmel schwarz sein. Warum geht es uns immer noch so gut?
Weinzierl: Weil Umweltverbände und Politik im technischen Umweltschutz und in der Umweltvorsorge erfolgreich waren. Allerdings wird dies nicht ausreichen, um etwa die Klimaveränderung zu stoppen. Hier müssen wir unsere Bemühungen verdoppeln.
Frage: Wenn eine unionsgeführte Regierung jetzt so en passant den Atomausstieg mitträgt, als hätten die gesellschaftspolitischen und realen Bauzaunschlachten nie stattgefunden, zeugt das von …
Weinzierl: …der Realität, dass Wirtschaft und Politik nicht gegen den Bürgerwillen handeln können. Noch besser wäre aber die Einsicht, dass nicht rückholbare Entscheidungen gegenüber künftigen Generationen unmoralisch sind.
Frage: Vor 40 Jahren haben Sie maßgeblich daran mitgewirkt, dass im Bayerischen Wald der erste Nationalpark Deutschlands entstand. Frage: Inzwischen wurde in jedem Bundesland mindestens ein großes Naturreservat geschaffen. Können wir uns solche „unproduktiven“ Oasen noch leisten?
Weinzierl: Nationalparke sind die Schatzkammern unserer Heimat. Gleichzeitig bringen sie viel für die Erholung und den Tourismus. Es sind attraktive Lernorte der Umweltbildung. Die Nachwelt wird uns auch nicht nach der Dichte des Straßennetzes, sondern nach dem Netzwerk des Lebens fragen.
Frage: Sie haben sich dafür engagiert, dass Wildtiere wie Uhu, Biber, Luchs oder Wildkatze bei uns wieder heimisch wurden. Heute werben Sie für Toleranz gegenüber Bär und Wolf. Muten Sie uns da nicht ein bisschen viel Wildnis zu?
Weinzierl: Die Sehnsucht nach Wildnis tragen wir doch alle noch in uns. Wir sollten die Chance einer Solidargemeinschaft mit der Schöpfung wieder entdecken und die Zuwanderer liebevoll aufnehmen.
Frage: Wer wie Sie im Alter von 70 Jahren politisch noch etwas bewegen will, muss sich aufs Wesentliche konzentrieren. Was ist Ihnen heute so wichtig, dass Sie sich dafür „bis zuletzt“ einsetzen?
Weinzierl: Naturschutz ist kein Beruf, sondern eine Denkweise, die sich nicht in Pension schicken lässt. Ich möchte Freude und Lust auf Naturschutz machen und zu einem zukunftsfähigen Lebensstil anregen.
Frage: Ihre autobiografische Bilanz soll den Titel „Zwischen Hühnerstall und Reichstag“ tragen. Wo fühlen Sie sich persönlich eigentlich mehr hingezogen?
Weinzierl: Meine Aufgaben drängen mich immer wieder nach Berlin und an Verhandlungstische, aber meine Seele lebt im Bayerischen Wald, wo meine Frau und ich mit vielen Tieren zusammen unsere Heimat haben und Kraft schöpfen.
Dieser Artikel stammt aus dem Archiv (Dezember 2005)